Eine Reise ins vergangene Jahrhundert

Hille Darjes liest im Cultimo die ergreifende Lebensgeschichte von Johanna Mutschall aus Bremerhaven
Kuhstedtermoor. Nach einem lang anhaltenden Applaus war es auf einmal wieder mucksmäuschenstill im Cultimo in Kuhstedtermoor. Die 30 Frauen und Männer im Publikum waren noch ganz ergriffen von der gerade gehörten Geschichte, niemand mochte sich als erster erheben und gehen. Die Schauspielerin Hille Darjes las die Lebensgeschichte von Johanna Mutschall, die der Bremerhavener Lehrer und Journalist Hans Happel als Buch unter dem Titel “Wir lernen ja immer, solange wir leben” herausgegeben hatte.

Dank Darjes war man kurzzeitig versetzt in die Straßen der Seestadt. Eine Zuhörerin lobte: “Sie hat die Geschichte unwahrscheinlich lebendig gemacht, man fühlte sich richtig drin in der Geschichte.” Johanna Mutschall war eine ganz normale Frau, geboren 1906 in Österreich. Schon in jungen Jahren ging es nach Bremerhaven. Darjes: “Da gab es dort noch Arbeit.” Darjes las die ganze Geschichte, machte nicht nur Appetit. Schließlich gibt es das Büchlein auch nicht mehr zu kaufen. Nachdenklichkeit und Humor wechselten sich ab, das Publikum fühlte mit, als Mutschall mit der Familie in den Bunker musste, wenn wieder einmal Fliegeralarm herrschte. Mitgefühl gab es aber auch, als Mutschall in den Sechzigern umziehen musste. Raus aus der Wülbernstraße und weg von den Nachbarn, rein ins Hochhaus und in die Anonymität.

Nicht ausschließlich aus dem Leben Mutschalls war etwas zu erfahren, das Leben eines ganzen Jahrhunderts floss vorüber, es gab jede Menge Details von “früher”. Eine Lehre für Johanna war beispielsweise unmöglich, dafür stand kein Geld zur Verfügung. Arbeiten durfte man, aber Lernen kostete extra. Ihr Papa starb an Gallensteinen, “das war früher so.” 1925 fing Johanna Mutschall beim Norddeutschen Lloyd an, als Wäscherin. 17 Pfennige die Stunde, neun Stunden pro Tag. “Das war was, das hat mir zugesagt”, waren ihre Worte. Darjes erzählte von den Tanzbällen. Wer keine Tanzkarte hatte, zahlte fünf Pfennig pro Tanz. “Oft haben wir nur zugeguckt, weil wir keinen Pfennig mehr für einen Tanz hatten.” Still im Cultimo war es beim Abschnitt über den Zweiten Weltkrieg. Mutschall berichtete: “Politik hat ja keinen interessiert. Hauptsache man hatte etwas zu essen.” Ihren Humor verlor sie trotz des dunklen Kapitels nicht. Als eine Haussuchung bei ihr anstand, begründete man dies mit “der Reichstag brennt”. Mutschall antwortete frech: “Ach, und da wollen sie bei mir die Streichhölzer suchen.” Das waren nur wenige von vielen tollen Geschichten über Johanna Mutschall, zu der Hans Happel wohl eher zufällig kam, eigentlich wollte er einen Stadtteilgeschichte schreiben. Die Leute rieten ihm zu Mutschall zu gehen, die könne jede Menge erzählen. Das tat sie dann auch und Happel brachte die auf Tonband gesprochenen Erinnerungen zu Papier.

Der Bremerhavener Kulturverein machte Darjes auf die Geschichte aufmerksam und die verliebte sich sofort. Johanna Mutschall hat sie 95-jährig sogar noch selbst kennengelernt.

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