Schwedisches Heer kleidete sich in Scharmbecker Tuch

Gästeführerin Sigrid Grimsehl im Auftrag der Kreisstadt unterwegs: Zwischen Rathaus und Beckstraße mit Teilnehmern auf Spurensuche
Osterholz-Scharmbeck.
Mit Geschichten und Anekdoten aus Scharmbeck, dem älteren Teil der Stadt Osterholz-Scharmbeck, hat Gästeführerin Sigrid Grimsehl am Sonntag die Teilnehmern ihrer Stadtführung verblüfft und unterhalten. Dabei führte sie die Gruppe zur “guten Stube” Gut Sandbeck, dem alten Bergerhof, Wind- und Wassermühlen, der Willehadi-Kirche und dem Marktplatz. Von Tuchmachern und Zigarrendrehern handelten ihre Berichte. Selbst Levi Strauss konnte sie mit der Stadt in Verbindung bringen. Aber alles der Reihe nach: Die Stadtführung beginnt am Rathaus.

Wo heute die Verwaltung ihren Sitz hat, war früher das Armenhaus untergebracht. Es liegt ungefähr auf der Schnittstelle zwischen Osterholz und Scharmbeck. Als es 1888 geplant wurde stand es weit außerhalb beider Flecken. Keiner wollte das Armenhaus in seiner unmittelbaren Nähe haben. Irgendwann suchten die Stadtväter dann Büroräume und nahmen die Wohnung des Herbergsvaters in Besitz. Von da zur Umwandlung ins Rathauses war es ein kleiner Schritt. Das Armenhaus selbst beherbergte 30 Bewohner, die sich mit Garten und Armenhauskuh selbst versorgten.

Grimsehl weist auf das Kriegerdenkmal an der Straßenkreuzung beim Rathaus hin und auf das in verlängerter Linie dazu stehende Gebäude. Dieses beherbergte zum Beginn des 19. Jahrhunderts die Zigarrenfabrik Zülch & Nitzsche. Grimsehl: “Die beschäftigten 300 Arbeiter. Es gab hier kaum ein Haus in dem nicht Zigarren gedreht wurden.” Untrennbar mit Osterholz-Scharmbeck verknüpft ist auch die Zigarettendynastie Reemtsma und das nicht nur durch die Entführung Ende der 1990er Jahre. Handelsgold, das letzte “Zigarrenhaus” schloss 1992, ist ein weiterer Beweis wie die Stadt mit Zigarren verbunden war.

Verschwunden wie die Zigarren sind die vielen Zeugen, die der Lindenstraße ihren Namen gaben. Die Bäume mussten der Straßenbeleuchtung weichen. Die Gästeführerin berichtet vom Leuchtenanzünder der 1882 mit der Leiter auf der Schulter durch die Straßen Scharmbecks zog und die Petroleumlampen instand hielt. Grimsehl: “Eine Straßenbeleuchtung war zu der Zeit etwas ganz Besonderes und Scharmbecks ganzer Stolz.” 1950 gab es 280 Straßenlaternen, 2003 bereits 3300.

Die Lindenstraße bietet einige Wahrzeichen: Häuser im Jugendstil, die Mühle von Rönn, den Wasserturm und den Bergerhof, der älteste Bauernhof der Stadt. Baujahr 1601 steht auf einem Balken. Grimsehl: “Das ist das Alter des Balkens, weit vor dem 30-jährigen Krieg. Der Hof ist vermutlich noch älter.” Den Wasserturm hat man 1935 in wenigen Monaten ganz ohne Gerüst gebaut. Zwei große Wassertanks versorgten die Bevölkerung mit Wasser. Oben auf dem Turm hat man eine wunderbare Aussicht. Die Stadtführerin: “Oben angekommen, weiß man genau, warum es Gartenstadt am Teufelsmoor heißt.” Leider darf man hier nicht mehr hoch. Grimsehl: “Das wäre ein Pfund mit dem die Stadt wuchern könnte. Vielleicht kann man mit dem Geld aus der Klosterholztombola hier etwas möglich machen.” Von der Lindenstraße zur Kirche geht es über den “Verlobungsweg”. Dort steht sogar ein Denkmal für einen unbekannten Hund, der einst ein Mädchen vor dem Ertrinken rettete. In der Teichstraße, übrigens die älteste Straße Scharmbecks, plätschert der Scharmbecker Bach. “Scirnbeki” soll er früher geheißen haben und war der Namensgeber des Stadtteils. Fünf Kilometer lang ist der Bach, trieb früher neun Mühlen an. Darunter sechs Walkmühlen, Scharmbeck war 300 Jahre lang die Tuchmacherstadt. Es gab über 100 Tuchmeister und viele Webstühle, Scharmbeck versorgte die Armee mit Uniformen.

Sogar der Tuchmacher Levi Strauss soll hier Segeltuch gekauft haben, bevor er sich in Goldgräberstimmung nach Amerika auf machte und dort später daraus Hosen schneiderte. Aus dem von Levi Strauss mitgegründeten Unternehmen, und damit vielleicht aus der ersten Hose aus Osterholz-Scharmbeck, entwickelte sich laut Wikipedia ein international ausgerichteter Konzern mit rund 11400 Beschäftigten. Auch diese Geschichte ist ohne Gewähr.

An der Straßenecke “Hinter der Kirche/Teichstraße” stand die erste Schule Scharmbecks, dahinter beginnt der Marktplatz. Einen Viehmarkt gibt es dort seit dem 17. Jahrhundert. Der Markt war einmal der zweitgrößte im Norden Deutschlands. Nur der in Leer war noch größer. In seiner Blütezeit trieb man 4000 Stück Vieh auf, Händler kamen von weit her. Nicht umsonst steckt der Bulle im Stadtwappen. Die Bauern waren früher Grasbarone, hatten saftige Weiden und gutes Vieh. Das zog auch Schuhmacher an. Lederschuhe waren Maßanfertigungen, die sich nur Adlige und reiche Leute leisten konnten.

Durch die Fußgängerzone führt Grimsehl ihre Schar zur Beckstraße. Dort zeigt sie eines der letzten Bauernhäuser mit den typisch vorgezogenen Erkern. Eingearbeitet im Holz sind Fratzengesichter. Sie sollen böse Geister vertreiben und ersetzten seinerzeit die Feuerversicherung. Wenige Meter weiter steht ein großes Fachwerkhaus, von Ernst August von Sandbeck als Witwenhaus erbaut, bevor man in die “gute Stube” der Stadt eintritt.

Das Gut Sandbeck war einmal die Sommerresidenz der Bremer Bischöfe und wurde 1575 erbaut. Die Sandbecks lebten dort in Saus und Braus, bevor 1855 der letzte Gutsbesitzer völlig verarmt verstarb. Die letzten Besitzer waren eine Familie von Hodenberg, wobei laut Grimsehl die Frau eine Geborene von Bülow und Patentochter des Königs von Baden Württemberg war. Im Garten des Guts steht der älteste Baum der Stadt, eine Eibe. Grimsehl: “Vor Eiben kann kein Zauber bleiben.” Obwohl sehr giftig wird er in der damaligen Zeit als heilig angesehen.

In der Hundestraße findet sich das älteste Bürgerhaus im Stadtteil Scharmbeck. Es ist 1626 gebaut und weist ebenfalls Fratzengesichter auf. Eigentlich hätte das Gebäude das Heimatmuseum beherbergen sollen, doch nach dem Zweiten Weltkrieg und der herrschenden Wohnungsnot brachte man dort Flüchtlinge unter. Anschließend war das Gebäude völlig verwohnt. In der Poststraße erinnert Grimsehl an die Post-Relais-Station, dort wurden zur Postkutschenzeit die Pferde ausgewechselt. Auch an das Kaufhaus Davidson erinnert sie. “Das war ein jüdisches Kaufhaus und sehr beliebt bei der Bevölkerung. Dahinter stand die erste Synagoge.” Nicht vergessen werden darf die Willehadi-Kirche. Der Glockenturm ist mit 860 Jahren das älteste Gebäude Scharmbecks. Um 1500 war er das einzige Steingebäude der Gegend. 18 Dörfer gehörten zur Kirche, sie ersetzte alle Medien und der Besuch war wichtig. “Orgelspieler bekommen hier leuchtende Augen”, geht die Gästeführerin auf die Erasmus-Bielefeld Orgel von 1731 bis 34 ein. Der Taufstein von 1572 wurde lange Zeit als Viehtränke benutzt, erst seit 1960 steht er wieder in der Kirche. Von einem Funkenregen berichtet Grimsehl beim Schlauchturm. Die Pferde die damals die Feuerwehrspritze zogen, sollen beim Bimmeln der Glocke vom Feld in die Stadt gestürzt sein – mit dem Pflug angespannt.

Dieter Henke ist begeistert von der Führung: “Sehr gut, ich hätte nicht gedacht, dass ich so viel Neues erfahre.” Henke hatte die Chronik über seine Stadt gelesen und sich erstmals einer Stadtführung angeschlossen. Petra Hinze meint: “Es waren zweieinhalb interessante Stunden. Es ging nie so in die Tiefe, dass man die Lust verlor. Toll.” Sigrid Grimsehl ist seit 20 Jahren Gästeführerin. Sie bietet auch Moorwanderungen und Themenspaziergänge an. Im August führt sie durchs Moor und durch Osterholz. Scharmbeck gibt’s wieder 2012.

Vermerk:
Sie möchten gerne ein Abzug von einem Foto? Kein Problem, nutzen sie bitte mein Kontaktformular.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*